Der Kampf um die Energie




Ergänzungen
Ende 2018: 
neue Rechnung

Was geschieht, wenn das Energieangebot kleiner als der Energiebedarf wird?

Hinweis: Seit ich dieses Kapitel geschrieben habe, spielen in den USA die unkonventionellen Energieträger eine immer größere Rolle und mancher ist vielleicht versucht zu glauben, das Ende jeder Energiekrise sei in Sicht. Dem ist aber nicht so, höchstens hat sich der Zeitpunkt einer Energiekrise ein wenig in die Zukunft verschoben. Und daher ist dieses Kapitel noch immer von grundlegender Bedeutung (siehe auch Fußnote 1)).

Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass die fossilen Energiequellen , welche z.Z. noch die Hauptlast unserer Energieversorgung tragen, in nicht allzu ferner Zukunft versiegen werden. Dies muss und wird Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft haben, die Frage ist nur, welche.

Machen wir uns zunächst klar, dass Energie die Grundlage für unseren Wohlstand ist. Welches sind dann die Ursachen für den stetig steigenden Bedarf nach Primärenergie ? Das habe ich in Energie2 ausführlich dargelegt, es gibt es im Wesentlichen zwei Ursachen:
  • Die rapide Bevölkerungszunahme in den we-Ländern,
  • das starke wirtschaftliche Wachstum in den we-Ländern, das notwendig ist, damit sich der wirtschaftliche Abstand dieser Länder zu den ve-Ländern langsam verringert.
Falls eine Energieverknappung eintritt, wird sich diese natürlich zu allererst an ihren Auswirkungen auf diese Ursachen bemerkbar machen. Denn immerhin sind dies die eigentlichen Ursachen für die bald zu erwartende Energieverknappung. Wie die Auswirkungen aussehen könnten, das wollen wir anhand von Modellrechnungen studieren. Ähnliche Rechnungen wurden bereits in Energie2 durchgeführt.

Die Grundlage für alle Modelle bildet die Annahme, dass die Bevölkerungszahl nicht auf beliebige Werte ansteigen kann, weil die Beschränktheit der Ressourcen auf der Erde dies nicht zulässt. Daher muss sich die relative Zunahme der Weltbevölkerung zu einem gewissen Zeitpunkt ins Negative kehren, die Frage ist allein, wodurch dieser Zeitpunkt bestimmt ist. In Energie2 wurde er bestimmt durch das Erreichen der optimalen Bevölkerungszahl, jetzt werden wir angesichts der Energiekrise annehmen, dass der Zeitpunkt dadurch gegeben wird, dass der Primärenergiebedarf der Menschheit einen optimalen Wert überschreitet. Wie in Kap. 1 gezeigt, ergeben unsere Prognosen ab dem Jahr 2020 ein zunehmendes Energiedefizit oberhalb eines jährlichen Primärenergiebedarfs von 12.5 · 1013 kWh a-1, für das nach heutigem Kenntnisstand keine Deckung besteht. Wir behandeln diesen Wert als optimalen Energiebedarfswert PEB0, bei dessen Überschreiten ein Mechanismus für die Abnahme des Bevölkerungszuwachses sorgt. Wie sich der tatsächliche Energiebedarf dann in den folgenden Jahren wirklich entwickelt, hängt von den Rahmenbedingungen ab.

Die wichtigste Rahmenbedingung beinhaltet die Annahme, dass zwei hypothetische Gesellschaften mit dem Index ve bzw. we existieren, deren soziologische Daten sich unterscheiden und auch unterschiedlich entwickeln. Wie diese Daten im Ausgangsjahr 2000 aussahen, das ist in der Tabelle auf der rechten Seite gezeigt. Natürlich sind diese Gesellschaften den tatsächlich existierenden ve-Ländern und we-Ländern nachgebildet, trotzdem handelt es sich um Modellgesellschaften, deren Entwicklung während des 21. Jahrhunderts berechnet werden soll.

ve-Gesellschaft
we-Gesellschaft
Bevölkerungszahl n (Mrd)
1.5
4.5
Bruttoinlandprodukt pro Person BIP (Tsd US$ a-1)
20
1
relative Zunahme des Bruttoinlandprodukts pro Jahr (a-1) 1%
3%
Anzahl der Lebendgeburten pro Paar nb
2
6
Lebenserwartung (a)
75
60
Soziologische Daten der beiden Modellgesellschaften im Jahr 2000.
Ohne Rechnung erkennt man aus diesen Daten unmittelbar, dass die Bevölkerungszahl der ve-Gesellschaft sich nicht verändern sollte, weil die Anzahl der Lebendgeburten pro Paar genau 2 beträgt. In der we-Gesellschaft dagegen würde die Bevölkerungszahl exponentiell ansteigen, wenn nicht das Überschreiten der Grenze des optimalen Energiebedarfs dies verhindern würde. Die tatsächliche Entwicklung wird daher beschrieben durch ein System von gekoppelten Differentialgleichungen2):
Bevölkerungsrate
i = ve, we
Wohlstandsrate

Geburts-/
Sterberate 
r 1
 r > 1
Kopplung

(*)

Der wichtige Teil in diesem Gleichungssystem ist die Kopplung (*), die verhindert, dass sich beide Gesellschaften unabhängig voneinander entwickeln und die bewirkt, dass diese Entwicklung nicht exponentiell verläuft. Wie stark der Kopplungsparameter r die Entwicklung beeinflusst, wird durch die Proportionalitätsfaktoren und   bestimmt. Es ist immer  = 0 angenommen, aber der Wert von definiert zwei mögliche, unterschiedliche Entwicklungen:
  1. Falls die Auswirkungen der Energieverknappung beide Gesellschaften in gleichem Maß beeinflussen, ist = = 10 a-1.
  2. Falls jedoch die Auswirkungen der Energieverknappung die we-Gesellschaft viel stärker trifft als die ve-Gesellschaft, ist = 100 a-1,   = 10 a-1.

Die Resultate, die sich mit diesen beiden Entwicklungsmöglichkeiten für jede der beiden Modellgesellschaften ergeben, sind in den Bildern unten dargestellt.


Die Entwicklung1) der Bevölkerungszahl und des Primärenergiebedarfs, wenn die Energieverknappung ve- und we-Gesellschaft gleich stark trifft (links), und wenn die Auswirkungen auf die we-Gesellschaft wesentlich stärker als auf die ve-Gesellschaft sind (rechts).

Die entscheidenden Ergebnisse, die aus den Modellrechnungen erkennbar werden, sind die folgenden:

Falls die Energieverknappung beide Gesellschaften gleichermaßen trifft, wird die Gesellschaft mit der geringeren Anzahl von Lebendgeburten pro Paar immer unterliegen im Kampf um die Energie.

Dieses Ergebnis hätte man mit einigem Nachdenken auch ohne die Rechnungen erzielen können. Was dagegen am Ergebnis der Rechnungen überrascht ist die Tatsache, dass unter den vorgegebenen Rahmenbedingungen dies innerhalb von nur 100 Jahren zur fast vollständigen Extinktion der ve-Gesellschaft führt.3) Und obwohl die Gesamtbevölkerungszahl nach etwa der Hälfte dieser Zeit wieder abnimmt, steigt ihr Primärenergiebedarf weiterhin an, wenn auch nur noch langsam, und erreicht nach 100 Jahren einen Wert, der um fast das 1.4fache größer ist als der optimale Wert.
 
Es ist kaum vorstellbar, dass die ve-Gesellschaft diese berechnete Entwicklung widerstandslos hinnehmen wird. Die Gegenmaßnahmen werden sozio-politischer Natur sein, sie beginnen mit der Fähigkeit, höhere Energiekosten leichter zahlen zu können, reichen über einer "Grenze-dicht-Politik" (welche den Lebensraum der we-Gesellschaft einschränkt) bis hin zu einem aktiven Kampf um Energie (welcher sich aufgrund der technologischen Vormacht der ve-Gesellschaft anbietet). Darüber hinaus ist zu vermuten, dass die Umweltveränderungen die we-Gesellschaft wesentlich härter treffen werden und diese sich (aufgrund ihrer geografischen Lage und technologischen Unterlegenheit) Veränderungen schlechter anpassen können. Insofern ist es nicht abwegig anzunehmen, dass die Entwicklung beider Gesellschaften auch der zweiten Möglichkeit folgen könnte.

Eine zukunftsfähige Entwicklung ist nur dann möglich, wenn beide Gesellschaften sich angleichen, wobei die Hauptlast des Angleichungsprozesses von der Gesellschaft mit der größeren Anzahl von Lebendgeburten pro Paar zu erbringen sein wird.

In diesem Fall würde der weltweite Primärenergiebedarf etwa konstant in der Nähe des optimalen Werts PEB0 verharren und die weltweiten Vorräte an fossilen Energien würden etwa bis zum Jahr 2080 reichen. Aus der Kürze dieser Zeit wird noch einmal deutlich, vor welchen enormen Problemen beide Gesellschaften (d.h. die Weltbevölkerung) stehen4). Wird es gelingen, innerhalb dieses Zeitraums neue Energiequellen zu erschließen, welche die fossilen Quellen vollständig ersetzen können? Und falls dies unmöglich ist, wird eine Anpassung ohne Schwierigkeiten gelingen, die ja eine Weltbevölkerung von nur ca. 4 Mrd Menschen im Jahr 2100 zulässt1)?


1) Die hier durchgeführten Rechnungen beziehen sich auf Modellgesellschaften, sie zeigen nur das prinzipielle Verhalten solcher Gesellschaften, beschreiben also nicht die tatsächliche Entwicklung der existierenden ve- bzw, we-Länder. Da sich der Leser vielleicht an dem Modellcharakter stört, habe ich die Rechnungen noch einmal in einem Sonderkapitel durchgeführt, diesmal mit Eingangsparametern, welche der Realität näher kommen und daher vielleicht auch der tatsächlich zu erwartenden Entwicklung besser entsprechen.
2) Die Größen in diesem Gleichungssystem sind, wenn nicht hier, dann in Energie2 definiert. Bei der Energieeffizienz e_e = 1/ sind Änderungen vorgenommen worden, damit die Abweichungen zwischen Daten und Prognosen (siehe Kap. 1) geringer werden. Diese betreffen im Wesentlichen die Zeitabhängigkeit: Der Faktor im Exponenten wurde von 0.01 auf den Wert 0.005 halbiert.
3) Tatsächlich dauert die Extinktionszeit etwas länger, weil eine 2. Zeitskala existiert (Lebenszeit), die in diesem einfachen Modell nicht berücksichtigt wurde.
4) Es ist voraussehbar, dass eine Mehrheit lieber die Augen schließt vor den niederschmetternden Ergebnissen dieser Rechnungen, als sich mit ihren Konsequenzen ernsthaft auseinanderzusetzen. Aber immerhin hat die Kommission der EU im Jahr 2007 Energierichtlinien definiert, um eine Energiekrise in der EU zu vermeiden. Ein Teil dieser Richtlinien hat eine Verbilligung der Energiekosten durch staatliche Eingriffe zum Ziel. Wie eine Verbilligung der Energiekosten und staatlicher Dirigismus helfen können, die Energieprobleme Europas zu lösen, ist nicht erkenntlich. Und ob die restlichen Richtlinien die EU vor einer  zukünftigen Energiekrise bewahren werden, muss man ebenfalls bezweifeln, obwohl die Nutzung der Kernenergie befürwortet wird. Im Rahmen der deutschen Energiepolitik ist nicht einmal das möglich.