Kernfusion




Ergänzungen
Ende 2019:  Projektstatus
 alternative Projekte


Unter der Kernfusion verstehen wir die Fusion von 4 Nukleonen zu einem 4He-Kern, ein Prozess, der auch in der Sonne abläuft und Ursache für die auf die Erdoberfläche einfallende Sonnenstrahlung ist. Technisch lässt sich dieser Prozess auf der Erde allein mithilfe der Kernreaktion
2H + 3H  ->  4He + n              (1)
nachbilden, wie ausführlich in Energie2 beschrieben. Es gibt 2 Möglichkeiten, die Deuterium(d=2H) - Tritium(t=3H) - Fusion in einem extrem heißen Plasma durchzuführen, den magnetischen Einschluss und den Trägheitseinschluss. Mit beiden Möglichkeiten und den Planungen für ihre technische Realisierung werden wir uns jetzt beschäftigen.

Magnetischer Einschluss (ITER)

ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) ist ein Projekt, an dem zunächst 6 Länder bzw. Ländergruppen beteiligt waren. In alphabetischer Reihenfolge sind dies:

Ansicht und Schnitt durch den Fusionsreaktor ITER
(aus der homepage von ITER im Internet)



China (VR)
Europäische Union
Japan
Korea (Süd)
Russland
Vereinigte Staaten von Amerika

Im Dezember 2005 ist auch
 Indien
 dieser Gemeinschaft beigetreten1).
Wie der Name ITER ausdrückt, befasst sich die Gemeinschaft mit der Errichtung einer Fusionsanlage, in der zum ersten Mal das Lawson-Kriterium überwunden werden soll, in der also mehr Energie aus der Fusion gewandelt als Energie zur Durchführung der Fusion benötigt wird. Und dies in einer Großapparatur, die ähnlich der ist, die  später eventuell unsere zukünftige Energieversorgung übernehmen könnte.

Als Konstruktionsort für ITER wurde von der Gemeinschaft im Jahr 2005 ein Ort in Frankreich, Cardarache in der Provence, ausgewählt.

Über ITER existiert eine ausführliche Dokumentation in englischer Sprache im Internet. Die physikalischen Grundlagen der Kernfusion und ihre Durchführung im ITER wurden auch in Energie2 besprochen. Wir werden diese Besprechung hier nicht wiederholen, wollen aber noch einmal auf einige der Schwierigkeiten bei der Durchführung hinweisen.

  • Brennstoff
Der Brennstoff  der Fusionsanlage besteht aus einer Mischung von Deuterium und Tritium. Allein Deuterium ist als stabiles Wasserstoffisotop mit einem Anteil von 0.0015% chemisch gebunden im Wasser (schweres Wasser) vorhanden. Das Wasserstoffisotop Tritium dagegen ist radioaktiv und muss erst "erbrütet" werden mithilfe des Neutroneneinfangs
n + 6Li  -> 4He + t                (2)
Das Lithiumisotop 6Li kommt mit einem Anteil von 7.5% in natürlichem Lithium vor. Die größten Lithiumvorkommen befinden sich in Australien, Chile, Kanada, Simbabwe und den USA. Wegen der extrem großen Energiedichte der Kernenergie, die bei der Fusion gewandelt wird, besteht kein Zweifel, dass die vorhandenen Brennstoffreserven für alle absehbaren Zeiten ausreichen, um die Welt mit genügend Primärenergie zu versorgen.

  • Energiewandlung
Die Energieform, die aus der Kernenergie mithilfe der Kernfusion gewandelt wird, ist zum größten Teil die kinetische Energie des Neutrons n in der Reaktionsgleichung (1). Die kinetische Energie der Neutronen lässt sich nicht so leicht in einem Absorber in thermische Energie umwandeln, wie das z.B. für die  Atomkerne aus der Kernspaltung in einem Spaltungsreaktor gelingt. Als Zwischenschritt sind zunächst immer die Streuung des Neutrons an den Atomkernen des Absorbers oder die Reaktion mit diesen Atomkernen notwendig. Dabei entsteht i.A. Radioaktivität, wie ja auch das zur Fusion benötigte Tritium t in der Reaktionsgleichung (2) radioaktiv ist. Natürlich wird angestrebt, im ITER nur solche Materialien zu verwenden, in denen die entstehende Radioaktivität möglichst gering ist. Aber ein gewisser Teil des Absorbers muss aus 6Li bestehen und auch die restlichen Materialien im Fusionsreaktor werden durch den Neutronenbeschuss radioaktiv werden. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, dass diese Materialien auch bei den hohen Neutronenflüssen im ITER nicht ihre mechanische und thermische Stabilität verlieren. Welche Materialien dies sind, scheint zum jetzigen Zeitpunkt keineswegs klar zu sein.

  • Durchführbarkeit
Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei ITER zunächst nur um ein "Experiment" und noch nicht um den endgültigen "Energieversorger". Es ist geplant, dass im Jahr 2007 mit dem Bau von ITER begonnen wird und dass 12 Jahre später die ersten Versuche zur Wasserstofffusion stattfinden werden. Diese und die sich anschließenden Versuche der eigentlichen Betriebsphase werden zeigen, wie ein tatsächlicher Energieversorger zu konstruieren ist. Bis zu diesem Zeitpunkt sind aber noch andere Experimente notwendig, nämlich:
    • IFMIF (International Fusion Materials Irradiation Facility): In diesem Experiment sollen die Eigenschaften von Materialien untersucht werden, die den hohen Neutronenflüssen ausgesetzt sind. Der Beginn dieses Experiments ist für 2008 geplant, erste Versuche sollen 2015 stattfinden und erst ca. 25 Jahre später abgeschlossen sein.
    • DEMO ist ein Fusionsreaktor, der nach den ersten Experimenten mit ITER im Jahr 2024 errichtet  werden soll  und in dem die Erfahrungen mit ITER berücksichtigt sind. Dieses Experiment soll die kommerziellen Möglichkeiten zur Nutzung der Wasserstofffusion demonstrieren und bis zum Jahr 2050 laufen
    • Die Errichtung des endgültigen Fusionsreaktors POWER PLANT wird nicht vor dem Jahr 2045 geschehen und die Energie aus diesem Reaktor wird wahrscheinlich erst nach dem Jahr 2055 zur Verfügung stehen. Zu diesem Zeitpunkt sind nach den Berechnungen in Energie2 die meisten Vorräte an fossilen Energieträgern schon abgebaut, die Energie aus der Wasserstofffusion käme also zu spät, um uns vor einer schweren Energiekrise zu bewahren.
  • Kosten
Die Kosten für das ITER-Projekt beziehen sich auf die Kaufkraft des US$ im Januar 1989. Aufgrund der Inflation sollten sich die angegebenen Kosten bis 2019 um 212% mehr als verdoppelt haben. Nach den offiziellen Angaben von ITER beliefen sich die Kosten im Jahr 1989 auf
    • Konstruktion und Bau des Reaktors: 2.755 Mrd. US$,
    • geschätzte totale Errichtungskosten der Anlage: 5.622 Mrd. US$.
Die jährlichen Betriebskosten der Anlage werden auf 188 Mio. US$ a-1 geschätzt. Davon entfallen
    • 32% auf Personalkosten,
    • 20% auf Energiekosten und für die Tritium-Produktion,
    • 48% auf Materialkosten und die Beseitigung des radioaktiven Abfalls.
Um einen Vergleich zu haben, sollte man in Kap.3.3 die Kosten betrachten, die Pyron-Solar für die Errichtung einer Fotovoltaikanlage veranschlagt, welche die gesamte Versorgung der USA mit elektrischer Energie übernimmt. Diese Kosten sind ca. 230mal höher und der Vergleich zeigt, dass die Kosten für die Energiebereitstellung aus der Kernfusion keinesfalls exzessiv sind (wenn die Machbarkeit nachgewiesen ist) und diese Technik eher daran scheitern könnte, dass sie zu spät kommt.
  • Projektstand 2019
Es ist schwierig, objektive Berichte über den augenblickliche Stand des ITER-Projekts im Internet zu finden. Die mediale Ruhe kann man sowohl positiv wie auch negativ sehen: Entweder läuft der Aufbau wie geplant, oder es besteht kaum noch Hoffnung, dass das Projekt verwirklicht wird. Schaut man sich die offizielle web-Seite von ITER an, erkennt man, dass Probleme existieren, die sowohl den zeitlichen Rahmen wie auch die Finanzierung betreffen:
1. Der Zeitpunkt der ersten Plasmaerzeugung wurde auf das Jahr 2025 verschoben, der erste Nachweis einer d-t Fusion auf 2035.
2. Die Investitionskosten werden jetzt auf 17 Mrd. € geschätzt - wahrscheinlich sind ca. 20 Mrd. € realistischer. Die geschätzten Betriebskosten belaufen sich jetzt auf ca. 318 Mio. € jährlich, für den Rückbau und die Entsorgung der Anlage werden ca 810 Mio. € angesetzt.
Da die Kosten zu einem wesentlichen Teil von der EU übernommen werden müssen, plant die Kommission, diese Kosten dem Klimaschutzbudget zu entnehmen.

  • Neue Projekte
Eines des wichtigsten Argumente, das gegen die Realisierbarkeit des ITER-Projekts spricht, ist die direkte Nachbarschaft des extrem heißen Fusionsplasmas (ca. 10 Mio. oC) zu der supraleitende Magnetspule (ca. -270 oC). In den Laboratorien von MIT(USA) wird daher an dem Versuch gearbeitet, das supraleitende Material durch ein Material (REBCO) zu ersetzen, das bereits bei der Verdampfungstemperatur von flüssigem Stickstoff (-196 oC) supraleitend wird. Obwohl der Temperaturunterschied von nur 74 oC nicht sehr groß erscheint, bringt er den enormen Vorteil, dass zur Kühlung nicht mehr flüssiges Helium, sondern flüssiger Stickstoff verwendet werden kann, der heute schon großindustriell erzeugt wird. Dadurch wird die Gesamtanlage kleiner, ihr Wirkungsgrad steigt und die Kosten verringern sich. Anfang 2018 wurde vom MIT berichtet, dass inzwischen eine Gesellschaft (CFS) gegründet wurde, um dieses Projekt innerhalb von 10-20 Jahren zu verwirklichen. Dabei wurde auch klar, für was REBCO steht: Rare Earth Barium Copper Oxyd, wobei es sich bei der seltenen Erde wohl um Yttrium handelt. Ein Nachteil ist: Die seltenen Erden werden z.Z.(2018) fast nur noch in China gefördert.

Sei 2006 wird ein ähnliches Projekt mit supra-leitenden Magnetspulen auch in China vom "Institute of Plasma Physics" entwickelt (EAST). Dort gelang es 2018 zum ersten Mal, ein Plasma mit einer Temperatur von > 100 Mio. oC zu erzeugen. Und obwohl China behauptet, diese Arbeiten im Rahmen des ITER-Projekts durchzuführen, erscheint es mir durchaus plausibel, dass China seinen nationalen Fusionsreaktor(CFETR)  bauen wird, falls die EAST-Resultate die Grundlage dafür gelegt haben.

Trägheitseinschluss

Eigentlich wurden dem Trägheitseinschluss noch vor einigen Jahren keine Chancen eingeräumt, hauptsächlich wegen der technischen Probleme, welche zu überwinden sind (siehe Energie2). Eine Folge war, dass z.B. die GSI in Deutschland die Arbeiten an der Entwicklung des für den Einschluss benötigten Atomkernbeschleunigers eingestellt hat. Am Ende des Jahrs 2005 wurde aber von einer Reihe von Forschern der Antrag gestellt, die Arbeiten an der Entwicklung des Trägheitseinschlusses wieder aufzunehmen. Grundlage sind die Versuche mit Hochleistungslasern und der daraus folgenden Erkenntnis, dass die Wasserstofffusion u.U. einfacher möglich wird, wenn der Prozess zur Bildung des Deuterium - Tritium - Plasmas und der Prozess zur Zündung des Plasmas nicht mit demselben, sondern verschiedenen Lasern erfolgen, die in unterschiedlichen Frequenzbereichen arbeiten. Ob dies eine Option ist, die sich auch bei den nur begrenzt zur Verfügung stehenden Finanzmitteln realisieren lässt, ist z.Z. vollkommen unklar. Jedenfalls sind dieser Option, soweit bekannt, bisher keine Finanzmittel zur Verfügung gestellt worden.

Ganz unabhängig davon arbeiteten die USA auch in der "National Ignition Facility" (NIF) an der Entwicklung des Trägheitseinschlusses mithilfe von Hochleistungslasern. Dieses Programm ist sehr wahrscheinlich nur ein Ableger der für die USA viel wichtigeren Militärforschung gewesen. Es ist daher sehr schwierig, Informationen über den augenblicklichen Stand dieser Entwicklung zu erhalten. Offensichtlich existierte 2009 eine Fusionsversuchsanlage, welche aus 192 Einzellasern bestand und welche eine Gesamtpulsleistung von ca. 1 · 108 kWh a-1 besaß. Die Pulslänge betrug etwa 1 ps, die Wiederholfrequenz war mit 200 s-1 angegeben.  Daraus errechnet sich eine Dauerstrichleistung von ca. 4.5 kWh a-1. Diese außerordentlich geringe Leistung weist darauf hin, dass diese Laser einen sehr geringen Nutzungsgrad besitzen dürften. Und das ist der Nachteil, der wohl allen Fusionsanlagen eigen ist, welche die Laser-Kompression benutzen. Offiziell wurde dieses Projekt 2014 für beendet erklärt.

Alternative Projekte

Erwähnt werden sollen zwei weitere Testanlagen, welche eines der Probleme des magnetischen Einschlusses vermeiden: die Nachbarschaft des > 10 Mio. oC  heißen Plasmas zu den supraleitenden Magnetspulen. Die Idee ist, die festen Kammerwände, die das Plasma einschließen, zu ersetzen durch Flüssigkeiten, welche komprimiert werden und damit die Fusion auslösen.

Bei der Anlage der Fa. "General Fusion" besteht die Flüssigkeit aus einem Gemisch aus geschmolzenem Pb und Li, in die d und t geschossen werden. Die Kompression erfolgt mechanisch über eine Vielzahl von Kolben.

Bei der Anlage der Fa. "TAE Technologies" besteht die Flüssigkeit aus zwei Plasma-Vortices, die Kompression erfolgt durch die Kollision dieser Vortices, die magnetisch auf nahe Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Das Besondere an dieser Anlage ist, dass das Plasma aus den Isotopen 1H (Proton) und 11B (Bor) besteht, welche bei ihrer Fusion keine Neutronen (und damit keine Radioaktivität) erzeugen, sondern 3 4He Kerne (Alpha -Teilchen).

Diese beiden Anlagen (und auch die CFS-Anlage) sind offensichtlich nicht Teil des ITER-Projekts, sondern finden unabhängig in privat finanzierten Unternehmen statt. Es würde mich sehr überraschen, wenn in derart relativ billigen und weniger aufwändigen Projekten tatsächlich die Kernfusion gelänge, und zwar eher als in den wesentlich besser finanzierten staatlichen Projekten.



1) Und seither sind noch weitere Länder der ITER Gemeinschaft beigetreten. Außerdem haben die USA im Jahr 2007 mitgeteilt, dass ihre Finanzierungsbeiträge zur Gemeinschaft für mindestens ein Jahr ausgesetzt werden. Die Gründe sind zu suchen in der Finanzkrise der USA und in der Tatsache, dass die USA danach ihre eigenen Entwicklungen fortsetzen wollten (NIF, siehe oben).