Was bedeutet Nachhaltigkeit?





In diesem Kapitel werden wir uns beschäftigen mit der Umweltkrise, welche, nach Meinung der meisten Menschen in Deutschland, zurückzuführen ist auf den Anstieg der globalen Temperaturen. In diesem Satz werden zwei charakteristische Besonderheiten erkennbar:
  • "Umwelt" ist eine Größe, welche sich nur im globalen Kontext behandeln lässt.
  • "Umwelt" selbst ist keine Messgröße, ihr Zustand lässt sich nur beschreiben durch andere Messgrößen, wie z.B. die Erdtemperatur oder die Entropieproduktion, wie es später in diesem Kapitel geschieht,
Nach mehrheitlicher Meinung werden z.Z. die Umweltveränderungen hauptsächlich verursacht durch eine exzessive Nutzung fossil biogener Kraftstoffe, verbunden mit exzessiven CO2 Emissionen in die Erdatmosphäre. Diese Ansicht wird auf der Erde nicht von allen Menschen geteilt, auch die deutsche Regierung scheint nicht eindeutig hinter dieser Meinung zu stehen. Denn warum sonst wird im ihrem Energiekonzept der Energieträger "Kernkraft" (welcher kein CO2 produziert) ersetzt durch die fossilen Energieträger "Kohle" und "Erdgas" (welche beide CO2 produzieren)? Da offensichtlich für der Regierungsplanung das Argument von der Vermeidung der CO2 Emissionen nicht allein maßgeblich sein kann, wird es ersetzt durch das Argument von der "Nachhaltigkeit" der deutschen Energieversorgung, worin primär die Versorgung mithilfe erneuerbarer Energien verstanden wird. Dass diese, wegen ihrer zeitlichen Fluktuation, erst dann wirklich unsere Energieversorgung übernehmen, könnten, wenn sie unterstützt werden durch einen ebenso großen Park an fossilen Kraftwerken, bleibt unerwähnt. Und dann: Was bedeutet eigentlich Nachhaltigkeit und wie misst man sie so, wie sich die Menge der CO2 Emissionen messen lässt?

Sucht man in Wikipedia unter dem Schlagwort "Nachhaltigkeit" nach einer Definition und einem Messverfahren, so findet man erstere in Form der 1987 von der UN angegebenen Definition:
'Entwicklung zukunftsfähig zu machen, heißt, dass die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Generation zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können'.
Nach einem Messverfahren zur Kontrolle dieser Forderung an die gegenwärtige Generation sucht man vergebens. Und in der Tat, diese Definition ist so allgemein, dass sich die Forderung nach Nachhaltigkeit auf alle menschlichen Lebensbereiche anwenden lässt, auch auf unsere Umwelt. Denn auch zukünftige Generationen besitzen Umwelt, in der sie leben müssen, und diese darf nicht gefährdet werden durch die gegenwärtige Generation. Wie also gefährdet die gegenwärtige Generation in messbarer Weise zur Zeit und in Zukunft unserer Umwelt?

Was jetzt folgt, wurde an vielen Stellen schon in dem Buch "Energie2" und im Internetmanuskript "Energie3" diskutiert. Es stellt daher nur eine Zusammenstellung der wesentlichen Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus diesen Referenzen dar. Denn ganz offensichtlich ist, dass unsere Versorgung mit vollwertiger, und auch billiger Primärenergie der wichtigste Punkt im menschlichen Leben ist, welcher die Forderung der Nachhaltigkeit zu erfüllen hätte. Zugang zu dieser Energie garantiert Wachstum und Wohlstand, das eigentlich Thema dieses Manuskripts. Auf der anderen Seite beeinflusst die Nutzung dieser Energie auch unsere Umwelt, das eigentliche Thema dieses Kapitels.

Sucht man in den oben angegebenen Referenzen nach messbaren Größen für den Zusammenhang zwischen Energie oder Wohlstand und Umwelt, so sind zwei von besonderer Bedeutung:
  1. Der Wirkungsgrad , welcher die Wandlung der Primärenergie in Endenergie1) beschreibt,
  2. Die Energieeffizienz e_e, welche den direkten Zusammenhang zwischen Primärenergiebedarf  PEB und Bruttoinlandprodukt BIP herstellt.
Beschränkt  man sich zunächst formal auf die Untersuchung der Umwelteinflüsse, welche durch den Primärenergiebedarf verursacht werden, so ist der Wirkungsgrad der geeignete  Parameter. Auch deswegen, weil 
  • er als rein physikalische Größe eindeutig definiert ist und Ausflüge in das schwammige Gelände der Ökonomie unnötig sind (siehe Diskussion in Kap. 3.1),
  • er eine genäherte Berechnung der Entropieproduktion gestattet, welche bei der Nutzung von Energie immer auftritt.
Die Leser dieses Manuskripts werden nicht überrascht sein, dass im Zusammenhang mit unserer Umwelt wieder die Entropie an vorderste Stelle auftritt. Während wir bei den Diskussionen über Wachstum und Wohlstand immer berücksichtigt haben, dass für beide eine obere Grenze existiert, ist es bezüglich der Umwelt von großer Bedeutung, dass auch hinsichtlich der Entropieproduktion einen obere Grenze besteht. Diese ergibt sich aus dem Energiehaushalt der Erde. Wegen seiner Wichtigkeit ist dieser Haushalt, wie schon in den oben genannten Referenzen, auch in diesem Manuskript noch einmal dargestellt.


Das Gleichgewicht zwischen eingestrahlter und abgestrahlter Energie auf der Erde und die dabei auftretenden Prozesse der Energiewandlung. Man beachte: Die Niederschläge zählen nicht zu den Wasserströmungen, sondern sind ein Teil des Wasserkreislaufs, bestehend aus Verdampfung und Kondensation, welcher von 23% der eingestrahlten Sonnenenergie angetrieben wird.





Die auf die Erde eingestrahlte Sonnenenergie wird zu 34% sofort in den Weltraum zurück reflektiert, der Rest wird in der Erdatmosphäre und auf der Erdoberfläche in andere Energieformen gewandelt und schließlich wieder, zusammen mit der bei der Wandlung produzierten Entropie, in den Weltraum abgestrahlt. Die relativen Anteile der verschiedenen Prozesse geben die Situation um die Jahrtausendwende (2000) wieder, also zu einer Zeit, zu der die Versorgung der Menschen mit Primärenergie noch ganz überwiegend mithilfe fossiler Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle, Kernenergie) erfolgte.

Zu dieser Zeit lebten ca. 5 Mrd. Menschen auf der Erde, welche einen totalen Primärenergiebedarf PEB 11 · 1013 kWh a-1 besaßen. Dies entspricht zwar etwa nur 0.007% der eingestrahlten Sonnenenergie, daraus aber zu schließen, dass die Menschheit einer Zukunft ohne Energiesorgen entgegengeht - denn es existiert ja genügend erneuerbare Energie und die Sonne "stellt keine Rechnung" -  ist falsch. Denn alle, auf der Erde ablaufenden, irreversiblen Prozesse produzieren Entropie und für die Produktion existiert eine obere Grenze, welche sich aus der Höhe der  Solarstrahlung I ergibt. Die gleiche Energiemenge wird von der Erde abgestrahlt, mit der Abstrahlung wird Entropie Smax transportiert, welche sich abschätzen lässt zu2)
Smax = I (1/T0 -1/T) = 3.2  · 1015 kWh a-1 K-1,
wobei die Sonnentemperatur T = 5800 K und die mittlere Erdtemperatur T0 = 288 K betragen. Dieser maximale Wert begrenzt alle möglichen, auf der Erde ablaufenden Wandlungsprozesse, auch den Beitrag menschlicher Prozesse in Zeiten, in denen die Vorräte an fossilen Energien erschöpft und nur erneuerbare Energien verfügbar sein werden. In Energie2 wurde der maximal tolerierbare, menschliche Anteil an Smax mit = 0.001 angegeben, auch in Kap. 3.1 wurde dieser Wert verwendet. Dies ergibt für den humanen Anteil an der Entropieproduktion einen maximalen Wert von
Shum · 1012 kWh a-1 K-1.
Wie weit haben die 5 Mrd. Menschen zur Jahrtausendwende diesen Rahmen ausgeschöpft?

Im Prinzip führten 2 irreversible Prozesse zur menschlichen Entropieproduktion:
  1. Menschliches Leben: Nimmt man einen mittleren Nahrungsbedarf von 1000 kWh a-1 für jeden Menschen an, so führt das zu einer humanen Entropieproduktion von S1 = 1.6 · 1010 kWh a-1 K-1. Also
    S1 / Shum = 0.005
  2. Menschliche Aktivitäten: Zur Jahrtausendwende betrug der globale Primärenergiebedarf PEB 11 · 1013 kWh a-1. Dem entspricht eine humane Entropieproduktion von S2 = 3.8 · 1011 kWh a-1 K-1. Also
    S2 / Shum = 0.13
Aus diesen Zahlen wird ganz klar: Der Mensch als Lebewesen ist kein Störfaktor für seine Umwelt, selbst wenn sich seine Anzahl in Zukunft verdoppeln sollte. Aber seine Aktivitäten (dazu zählen besonders die Wirtschaftsaktivitäten zur Vergrößerung menschlichen Wohlstands) hatten bereits zur Jahrtausendwende mit 13% einen merklichen Einfluss auf seine Umwelt. Und dieser Einfluss wird zunehmen, wenn die Bevölkerungszahl sich bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts verdoppelt und der Wohlstand jedes einzelnen Erdbewohners steigt. Und das Erschreckende ist: Diese Betrachtungen sind so allgemein, dass das Ergebnis ganz unabhängig davon ist, wie der menschliche Primärenergiebedarf dann gedeckt wird. Die erneuerbaren Energien besitzen für die Entropiebilanzierung keine Sonderstellung, auch ihre Nutzung produziert Entropie.

Die entscheidende Rolle, welche die Entropieproduktion für alle auf der Erde stattfindenden Prozesse spielt, erlaubt uns eine Definition der Nachhaltigkeit, welche mehr Bezug hat zu der von der Natur gesetzten Grenze menschlichen Handelns:

Menschliches Handeln ist um so nachhaltiger, je weniger die natürliche Entropieproduktion auf der Erde durch dieses Handeln beeinflusst wird.

Menschliches Handeln ist ein Synonym für alle Prozesse, deren Existenz die Existenz des Menschen voraussetzt. Die Natur ist gnadenlos: Irreversible Prozesse produzieren Entropie (sie erfordern die Wandlung von Energie) und der Mensch kann sich dieser strikten Abfolge von Ursache und Wirkung nicht entziehen. Die natürlichsten Lösungen für nachhaltiges Handeln wären demnach auch
  •  die Anzahl der Menschen zu beschränken, etwa durch Hungersnöte, Kriege, oder ähnliche Katastrophen,
  • das menschliche Handeln zu beschränken und damit einen Verlust an Wohlstand hinzunehmen.
Selbstverständlich sind diese Lösungen politisch inkorrekt. Es gibt genügend Vorschläge, wie die Menschheit der Entropiefalle entgehen könnte, man findet einige z.B. in dem Buch "Factor 5". Derartige Vorschläge erfordern immer, einen Prozess (z.B. Rohstoffabbau) durch einen anderen (z.B. Wiederverwertung) zu ersetzen, wobei nicht nachgewiesen ist, dass der neue Prozess tatsächlich die Entropieproduktion verringert.

Im folgenden Kapitel wird diese Frage anhand des Prozesse untersucht, welcher die Grundlage für fast alle irreversiblen Prozesse ist, nämlich die Energiewandlung.


1) Ich betrachte hier die Wandlung in Endenergie anstelle der in Nutzenergie, welche eigentlich die Energieform ist, die Menschen nutzen. Der Grund ist, dass nur erstere stark von der Form der Primärenergie abhängt, die Wandlung von Endenergie in Nutzenergie davon aber ziemlich unabhängig ist.
2) Die Entropieproduktion ist definiert als Entropie pro Zeit und hat daher in der hier benutzten Konvention die Einheit [S] = kWh a-1 K-1. Vernachlässigt wird hier der Faktor 4/3 in der Strahlungsformel.