Die Rolle der Leitwährung





Im Kap. 3.1 wurde vorgeschlagen, wie sich auch bei ökonomischen Fragestellungen ein eindeutiges Maßsystem einführen ließe, welches an das physikalische Maßsystem gekoppelt ist und dessen fundamentale Eigenschaft besäße, nämlich Teil eines Basismaßsystems zu sein. Natürlich besteht wenig Aussicht, dass dieser Vorschlag (oder ein ähnlicher Vorschlag) Eingang in die Lehren der orthodoxen Ökonomie findet. Deren, auf die Praxis bezogenen Aus- und Voraussagen werden auch weiterhin ein Maßsystem benutzen, welches an die Existenz einer Leitwährung gekoppelt ist, d.h. an die Währung des Lands, dessen Wirtschaft als besonders stark und erfolgreich eingeschätzt wird. Augenblicklich ist dies die USamerikanische Währung, der USD.

Diese spezielle Wahl des Maßsystems bietet dem Land der Leitwährung besondere Vorteile, für alle anderen Länder mit eigenen Währungen ist sie aber mit Nachteilen verknüpft. Ein Vorteil ist ganz offensichtlich:
Da die Leitwährung gleichzeitig auch Reservewährung für die meisten anderen Länder ist und von diesen daher aufgekauft wird, gibt es fast kein Hindernis für das Land der Leitwährung, seinen Staatshaushalt zu einem wesentlichen Teil über Schulden zu finanzieren, falls die eigene Wirtschaftskraft für die Finanzierung nicht ausreicht.

Auf die enorme Steigerung der USamerikanischen Staatsschulden seit etwa 2000 ist in Kap. 2.1 hingewiesen worden, ohne dass sich auf den Finanzmärkten aus dieser Schuldenentwicklung für die USA Konsequenzen ergeben hätten. Auf der anderen Seite werden die Länder mit USD-Reserven abhängig von der Finanzpolitik der USA. Denn würde der USD seine Rolle als Leitwährung verlieren, würden die Währungsreserven dieser Länder an Wert verlieren und ihr Wohlstand nähme ab, ohne dass sich ihre reale Wirtschaftsleistung verändert hätte.

In den folgenden Abschnitten werde ich versuchen, diesen Überlegungen zusätzlich eine mathematische Basis zu geben1), ausgehend von der Trennung zwischen vollwertiger Geldmenge Gv und minderwertiger Geldmenge Gm, wie sie durch Gleichung (1) in Kap. 3.1 definiert wurden.

Im Kap. 3.1 wurde erläutert, dass der Wohlstand eines Lands, also sein reales BIP, gemessen werden muss mithilfe der vollwertigen Geldmenge Gv mit der Basismaßeinheit [Gv(0)], was jedoch nicht möglich ist, weil diese Maßeinheit nicht existiert. Statt dessen wird als Wohlstand definiert die Geldmenge2)
G = g [G],
gemessen in der Währungseinheit [G] dieses Lands. Natürlich hat diese Angabe nur geringe Aussagekraft, wenn sie sich nicht vergleichen lässt mit anderen Ländern, also gemessen wird mithilfe der Leitwährungseinheit [G(0)] = USD, welche die Basiswährungseinheit ersetzen muss, weil letztere nicht existiert. Daher wird i.A. als Wohlstand definiert
G = g(0) [G(0)].
Mithilfe der Gleichung (1) aus Kap. 3.1 folgt daraus


(1)
oder

(2)     
denn das Verhältnis der Einheiten für die vollwertigen Geldmengen (z.B. Entro) ist definitionsgemäß [Gv]/[Gv(0)] = 1. Man beachte: Die Gleichung (2) gibt an den international vergleichbaren Wohlstand g(0) eines Lands, gemessen in der Einheit der Leitwährung, relativ zum Wohlstand g, gemessen in der Landeswährung und daher eigentlich ohne Bedeutung außerhalb dieses Lands. Anhand dieser Gleichung lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen:

  • Der international anerkannte Wohlstand eines Lands nimmt ab, wenn sich das Land der Leitwährung stärker verschuldet ( nimmt zu).
  • Der international anerkannte Wohlstand eines Lands nimmt zu, wenn sich dieses Land stärker verschuldet ( nimmt zu).
Natürlich handelt es sich hierbei allein um Veränderungen des virtuellen Wohlstands, hervorgerufen durch die Nichtexistenz einer eindeutigen Basiswährungseinheit im Zusammenspiel mit den Staatsverschuldungen. Wer aber macht sich die Mühe, diese Schlussfolgerungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen und die Zusammenhänge zu erkennen? Analysen kosten Zeit, Finanzmärkte treffen Entscheidungen innerhalb von wenigen Sekunden.

Es gibt eine Möglichkeit, diese Fehlinformationen zu korrigieren, nämlich durch die Anpassung des Wechselkurses x, was einer Transformation des Maßsystems entspricht. Gemäß Gleichung (1) in Kap. 3.1 gilt

und mithilfe von Gleichung (1) oben folgt dann
G = g [xG] = g [G(0)]   --->   g(0) = g      (vergleiche mit Gleichung (2)).
Also müssten die Wechselkurse x den jeweiligen Staatsverschuldungen angepasst werden, damit man zu einer einigermaßen realistischen Aussage über den Wohlstand eines Lands gelangt. Dies verlangt, dass
  • eine Landeswährung abgewertet wird, wenn die Verschuldung dieses Lands zunimmt,
  • eine Landeswährung aufgewertet wird, wenn die Verschuldung dieses Lands abnimmt.
 Diese Anpassungen werden aber unmöglich, wenn
  1. die Wechselkurse durch Zentralbanken willkürlich festgelegt werden, wie z.B. in der VRChina,
  2. das Land Mitglied einer Währungsunion ist und die Staatsverschuldungen der einzelnen Mitgliedsländer unterschiedlich sind, wie z.B. in der Eurozone.
Dann kann in den betroffenen Ländern die Kluft zwischen realem und virtuellem Wohlstand immer größer werden bis zu dem Punkt, an dem ein weiteres Wachstum und damit eine Refinanzierung3) der Staatshaushalte unmöglich wird. Dies ist aber genau das, was in einigen Ländern der Eurozone augenblicklich beobachtet wird. Diesem Problem kann, wenn man dieser Analyse folgt, nur dadurch begegnet werden, dass die Staatsschulden aller Mitgliedsländer der Währungsunion angeglichen werden, auf welchen Wegen auch immer. Im Kontext dieser Manuskripte Energie3 und Energie4 erscheint ein Weg aber ausgeschlossen: Die Hoffnung, wirtschaftliche Ungleichgewichte mit mehr Wachstum ausgleichen zu können, wenn Wachstum so stark an die abnehmenden Energiereserven gekoppelt ist.


1) Da dieser Teil vielleicht zu unanschaulich ist, möchte ich zum besseren Verständnis ein anschauliches Beispiel hinzufügen, welches die mathematische Basis besser erkennen lässt:
Meine Körpergröße ist L = 1.9 m oder L = 6.23 ft. Was also, 1.9 oder 6.23? Beide Zahlen sind verschieden, trotzdem sind beide Angaben richtig, denn sie werden erst vollständig durch die Angabe der jeweiligen Maßsysteme2). Also im 1. Fall [L(0)] = m (das ist eine physikalische Basismaßeinheit, erkennbar an der hochgestellten (0)), oder im 2. Fall [L] = ft (das ist irgendeine Maßeinheit, wie auch [G] = USD, aber mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie, im Gegensatz zum USD, zeit- und ortsunabhängig ist). Natürlich lässt sich ein Maßsystem in eine anderes umrechnen, denn ich kann schreiben
L = 1.9 [L(0)] = 1.9 [L(0)]/[L] [L] = 6.23 [L],
woraus sofort folgt [L]/[L(0)] = 1.9/6.23 = 0.30.
2) Mit der eckigen Klammer [X] wird das Maßsystem der Messgröße X gekennzeichnet, während x der Messwert (eine reine Zahl) ist.
3) Misst man die Fähigkeit eines Lands zur Refinanzierung allein an seiner Verschuldung, müsste Spanien in dieser Hinsicht nicht die Probleme haben, die es auf den Finanzmärkten antrifft. Als Begründung wird angegeben, dass das "Vertrauen in Spanien" fehle. Vertrauen ist keine Messgröße, dieser Tatbestand ist nur ein weiteres Indiz dafür, dass Ökonomie keine exakte Wissenschaft ist.